Arbeitsrecht
Nicht erteilte Datenschutzauskünfte: Arbeitgeber muss Schadensersatz leisten
Ein Auskunftsverlangen eines Arbeitnehmers sollte der Arbeitgeber sorgfältig erfüllen. Reagiert er ein halbes Jahr lang nicht und übersendet er dann nur Arbeitszeitnachweise, steht dem Arbeitnehmer wegen der unvollständigen Auskunft ein Schadensersatzanspruch zu.
Hintergrund
Eine bei einem ambulanten Pflegedienst beschäftigte Hauswirtschafterin erhielt am 30.1.2020 ihre Kündigung zum 29.2.2020. Sie machte noch am Tag des Kündigungszugangs unter Fristsetzung bis zum 13.2.2020 einen “Auskunftsanspruch nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Hinblick auf sämtliche bei Ihnen gespeicherten Daten, insbesondere die Daten der Arbeitszeiterfassung” geltend. Einen Tag später erhob sie zudem Kündigungsschutzklage. Im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses im August 2020 beanspruchte sie wegen bis dahin immer noch nicht erteilter Auskunft auch die Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten immateriellen Schadensersatzanspruchs auf der Grundlage von Art. 15 DSGVO.
Nachdem der Arbeitgeber ein halbes Jahr lang auf das Auskunftsverlangen gar nicht reagiert hatte, übersandte er der Arbeitnehmerin im August 2020 ihre Arbeitszeitnachweise.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht erkannte in dem Verhalten des Arbeitgebers einen Verstoß gegen die DSGVO und entschied, dass der Klägerin Schadensersatz zustand. Es begründetet den Schadensersatzanspruch damit, dass sich der DSGVO nicht entnehmen lässt, dass der Anspruch einen qualifizierten Verstoß gegen die DSGVO voraussetzt. Für die Annahme einer Erheblichkeitsschwelle oder die Ausnahme von Bagatellfällen gibt es keinen Anhaltspunkt. Der Schadensbegriff muss weit und auf eine Weise ausgelegt werden, die den Zielen der DSGVO in vollem Umfang entspricht.
In jedem Arbeitsverhältnis verarbeitet der Arbeitgeber zwangsläufig personenbezogene Daten seiner Mitarbeitenden. Jeder Arbeitgeber erhebt, speichert und verwendet mindestens die Kontaktdaten, die Bankdaten zwecks Überweisung des Entgelts sowie die Anwesenheits- und Fehlzeitendaten seiner Mitarbeitenden. In welchem Umfang und in welchen Kategorien eine solche Verwendung erfolgt, ist Arbeitnehmenden nicht ohne Weiteres ersichtlich. Ebenso könnten Arbeitnehmende nicht von sich aus erkennen, ob Daten auch Dritten zur Verfügung gestellt und für welche Dauer – ggf. auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses – diese Daten gespeichert bleiben.
Der Arbeitgeber im vorliegenden Fall hatte im August 2020 lediglich Arbeitszeitnachweise übersandt, aber keine Informationen über weitere personenbezogene Daten der Arbeitnehmerin. Eine Kontrolle über diese Daten hatte die Arbeitnehmerin jedoch nicht, solange der Arbeitgeber seiner Auskunftspflicht nicht nachkommt. Der Beschäftigten fehlt dabei nicht nur die Kenntnis, welche Kategorien von Daten der Arbeitgeber formalisiert oder nicht formalisiert verarbeitet. Sie kann ebenso nicht beurteilen, wie lange solche Daten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiter gespeichert bleiben und an welche Dritte der Arbeitgeber solche Daten ggf. weiterreicht.
Die Schwere des immateriellen Schadens, also das Gewicht der Beeinträchtigung, das die Arbeitnehmerin – subjektiv – wegen der bestehenden Unsicherheit und des Kontrollverlustes empfinden mag, war für die Begründung der Haftung nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO und damit für die Frage des “Ob” eines entstandenen Schadens nicht erheblich. Das Landesarbeitsgericht bezifferte den Schaden auf 1.000 EUR.
GmbH-Gesellschafter/-Geschäftsführer
GmbH: Wie zählen die Stimmen minderjähriger Kinder bei Betriebsaufspaltung?
Ist hinsichtlich der Gesellschafterstellung eines Kindes eine Ergänzungspflegschaft angeordnet, dürfen die Stimmen dieses Kindes nicht einem Elternteil zugerechnet werden.
Hintergrund
V war bis zu seinem Tod am 3.1.2010 alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der V-GmbH. Er wurde von seiner Witwe W zu ½ und von den beiden Söhnen S1 und S2 zu je ¼ beerbt. Nach dem Gesellschaftsvertrag reicht für die Beschlussfassung die einfache Stimmenmehrheit aus. Das Betriebsgrundstück steht im Alleineigentum der W. Sie hat es seit 2001 an die GmbH verpachtet.
Am 11.1.2010 wurde W von der Gesellschafterversammlung zur Geschäftsführerin bestellt und vom Selbstkontrahierungsverbot befreit. Für den minderjährigen S2 unterzeichnete sie als Erziehungsberechtigte.
Am 7.6.2010 wurde für S2 eine Ergänzungspflegschaft angeordnet, die die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte und -pflichten in der GmbH umfasste. Am 17.6.2010 beschloss die Gesellschaftsversammlung wiederum, W zur Geschäftsführerin zu bestellen. Diesen Beschluss unterschrieb die Ergänzungspflegerin für S2. Eine Befreiung der W vom Selbstkontrahierungsverbot enthielt dieser Beschluss nicht.
Das Finanzamt ging davon aus, dass mit der Bestellung der W zur Geschäftsführerin am 17.6.2010 neben der bereits bestehenden sachlichen Verflechtung auch eine personelle Verflechtung mit der GmbH eingetreten war. Denn gegen ihren Willen konnte sie als Geschäftsführerin nicht abberufen werden. Aufgrund der deshalb vorliegenden Betriebsaufspaltung war das Grundstück in das Besitzunternehmen der W einzulegen gewesen. Für die Zeit ab dem 17.6.2010 hatte sie folglich aus der Verpachtung gewerbliche Einkünfte erzielt. Für 2012 nahm das Finanzamt aufgrund der Bestellung der S1 und S2 zu weiteren Geschäftsführern die Beendigung der Betriebsaufspaltung und einen Aufgabegewinn an.
Die Klage vor dem Finanzgericht hatte Erfolg. Dieses entschied, dass W lediglich über 50% der Stimmen und damit nicht über die Stimmenmehrheit verfügte. Der Anteil des minderjährigen S2 war ihr nicht zuzurechnen.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof schloss sich der Auffassung des Finanzgerichts an und entschied, dass es an der für die Betriebsaufspaltung erforderlichen personellen Verflechtung zwischen der W und der GmbH fehlte.
Für eine personelle Verflechtung ist erforderlich, dass der Gesellschafter nach den gesellschaftsrechtlichen Stimmverhältnissen in der Lage ist, seinen Willen in beiden Unternehmen durchzusetzen. Diese Voraussetzung war vorliegend nicht erfüllt. W war zwar Alleineigentümerin des überlassenen Betriebsgrundstücks, nicht aber in der Lage, auch in der GmbH ihren Willen durchzusetzen. Damit ein Gesellschafter eine GmbH beherrscht, ist es gesellschaftsrechtlich ausreichend und auch notwendig, dass er über die Stimmrechtsmehrheit verfügt, die der Gesellschaftsvertrag für Gesellschafterbeschlüsse vorschreibt. Die auf die W entfallenden 50% der Stimmen in der Erbengemeinschaft führen folglich nur zu einer Patt-Situation bei der Betriebs-GmbH. W kann die Betriebs-GmbH ohne Mehrheitsbeteiligung nicht beherrschen.
Eine Beherrschung der GmbH ergibt sich auch nicht daraus, dass die W zugleich Geschäftsführerin der GmbH wurde und so die sog. Geschäfte des täglichen Lebens der GmbH bestimmen konnte. Es fehlt die weiterhin notwendige Mehrheitsbeteiligung an der GmbH. Denn für eine Beherrschung im Sinne der Betriebsaufspaltung kommt es auf das für die Geschäfte des täglichen Lebens maßgebende Stimmrechtsverhältnis an. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der über die Mehrheit der Stimmen verfügt, beherrscht deshalb dann die Geschäfte des täglichen Lebens in der Betriebsgesellschaft, wenn ihm – abgesehen vom Vorliegen eines wichtigen Grundes –die Geschäftsführungsbefugnis nicht gegen seinen Willen entzogen werden kann.
Die Stimmen des minderjährigen S2 können der W mangels gleichgelagerter wirtschaftlicher Interessen nicht zugerechnet werden. Die Ergänzungspflegerin vertritt die Interessen des S2 in der GmbH unabhängig von den Interessen der W, sodass die Vermutung gleichgelagerter wirtschaftlicher Interessen dieser beiden Beteiligten nicht zum Tragen kommt. Aufgrund der Bestellung der Ergänzungspflegerin sind die Stimmrechte des S2 im Verhältnis zur GmbH nicht mehr Teil der Vermögenssorge der W. Es besteht deshalb keine Vermutung, dass die Interessen der W und des S2 gleichgelagert sind.
Vor der Bestellung der Ergänzungspflegerin konnte die Gesellschafterversammlung nicht wirksam gegenüber S2 einberufen und W nicht wirksam zur Geschäftsführerin bestellt werden. An einer Stimmabgabe für S2 war W wegen des Verbots des Insichgeschäfts gehindert. Es fehlt die nachträgliche Genehmigung der Ergänzungspflegerin. In dem Gesellschafterbeschluss v. 17.6.2020 kann keine Genehmigung des Beschlusses v. 11.1.2020 gesehen werden. Denn im Gesellschafterbeschluss vom 17.6.2010 wurde W gerade nicht vom Selbstkontrahierungsverbot befreit.
Lohn und Gehalt
Sterbegeldzahlung an Erben: Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit?
Bei dem Sterbegeld, das nach beamtenrechtlichen Grundsätzen gezahlt und nach den Dienstbezügen oder dem Ruhegehalt des Verstorbenen bemessen wird, handelt es sich um Einnahmen aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 11 EStG liegen nicht vor.
Hintergrund
A war zusammen mit ihren beiden Geschwistern Erbin ihrer verstorbenen Mutter M. Diese hatte als Ruhestandsbeamtin eine Pension bezogen. Den Erben stand nach beamtenrechtlichen Grundsätzen ein Sterbegeld in Höhe der doppelten Bruttobezüge des Sterbemonats der M zu. Auf Antrag der A wurde das Sterbegeld i. H. v. 6.000 EUR brutto (netto 5.300 EUR) auf das von A verwaltete Konto der M ausgezahlt.
Das Finanzamt ging davon aus, dass das Sterbegeld als sonstiger Bezug Arbeitslohn der A darstellte. Dementsprechend erhöhte es deren Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit um den Bruttobetrag des Sterbegeldes. Zugleich gewährte es einen Freibetrag für Versorgungsbezüge (3.176 EUR) sowie den Werbungskosten-Pauschbetrag (102 EUR) und rechnete die einbehaltenen Abzugsbeträge an.
Das Finanzgericht entschied zugunsten der A, dass die Zahlung des Sterbegeldes nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei war, da es sich um wegen Hilfsbedürftigkeit bewilligte Mittel handelte.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof sah dies anders. Seiner Ansicht nach orientiert sich das pauschale Sterbegeld nicht an einer typisierend vermuteten Hilfsbedürftigkeit des Empfängers, sondern dient dazu, den Hinterbliebenen die Bestreitung der mit dem Tod des Beamten zusammenhängenden besonderen Aufwendungen zu erleichtern.
Zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit gehören auch Wartegelder, Ruhegelder, Witwen- und Waisengelder und andere Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen. Die Vorschrift erweitert die persönliche Zurechnung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit auf Rechtsnachfolger eines Arbeitnehmers. Soweit ein Rechtsnachfolger Arbeitslohn aus dem früheren Dienstverhältnis des Rechtsvorgängers bezieht, gilt der Rechtsnachfolger selbst als Arbeitnehmer. M bezog als Ruhestandsbeamtin Versorgungsbezüge. Die A hatte zusammen mit ihren Geschwistern als Abkömmlinge der M Anspruch auf Sterbegeld als Teil der Hinterbliebenenversorgung. Bei dem Sterbegeld handelt es sich somit um steuerbare, der A als Miterbin und damit Gesamtrechtsnachfolgerin der M zuzurechnende Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit
Bei dem beamtenrechtlichen Sterbegeld handelt es sich um einen Versorgungsanspruch eigener Art, den beim Tod eines Beamten nicht dessen Erben als solche erwerben, sondern der originär zugunsten der als sterbegeldberechtigt bezeichneten Personen entsteht und daher auch nicht in den Nachlass fällt. Die Gutschrift auf dem Konto der verstorbenen M hat daher zu einem Zufluss allein bei A geführt. A hatte die Gutschrift auf dem Konto der Erbengemeinschaft selbst veranlasst. Sie hatte erklärt, dass die Zahlung im Einverständnis mit den Geschwistern allein an sie erfolgen solle. Als Testamentsvollstreckerin hatte A zudem die Befugnis, über das Konto zu verfügen.
Die Zahlung des pauschalen Sterbegelds ist nicht davon abhängig, dass den berechtigten Personen anlässlich des Todesfalls Kosten tatsächlich oder mindestens in Höhe des Sterbegeldes entstanden sind. Zudem orientiert sich das pauschale Sterbegeld an den Dienstbezügen bzw. am Ruhegehalt des Verstorbenen im Sterbemonat, nicht aber an der wegen des anlassbezogenen tatsächlichen Aufwands typisierend vermuteten Hilfsbedürftigkeit des Empfängers. Eine typisierend unterstellte Hilfsbedürftigkeit kann in Bezug auf den Anspruch auf pauschales Sterbegeld daher nicht angenommen werden.
Bei dem Sterbegeld handelt es sich um einen Versorgungsbezug, sodass A ein Versorgungsfreibetrag zusteht. Unerheblich ist dabei, dass es sich um einen einmaligen Bezug handelt.
Private Immobilienbesitzer
Teileigentümer ersetzt Scheune durch Wohnhaus: Ist das zulässig?
Reißt ein Teileigentümer eine Scheune ab und errichtet er stattdessen ein Einfamilienhaus, kann das Wohnen in dieser Teileigentumseinheit zulässig sein. Das gilt zumindest dann, wenn die Einheit räumlich abgrenzbar ist, keine einschränkende Zweckbestimmung hat und alle übrigen Einheiten in der Anlage dem Wohnen dienen.
Hintergrund
Eine Wohnungseigentumsanlage bestand bei der Teilung im Jahr 1973 aus einem Gebäude mit 8 Wohneinheiten sowie einer fensterlosen Scheune. Diese war als Teileigentumseinheit gebucht und ist in der Teilungserklärung als “Lagerraum” bezeichnet. Laut Teilungserklärung sollten beide Gebäude hinsichtlich Nutzung, Kostenverteilung, Instandhaltung und Instandsetzung getrennt behandelt werden. Der Teileigentümer der Scheune sollte zu beliebigen baulichen Veränderungen berechtigt sein.
Im Jahr 2013 riss der Teileigentümer die Scheune ab und errichtete an deren Stelle ein Einfamilienhaus. Auf Antrag des Teileigentümers änderte das Grundbuchamt danach die Buchungsart des Sondereigentums von Teileigentum in Wohnungseigentum.
Die Wohnungseigentümergemeinschaft verlangt von dem Teileigentümer, die Nutzung des neu errichteten Gebäudes als Wohnraum zu unterlassen. Vor Amts- und Landgericht hatte die Klage Erfolg. Die Bezeichnung als Teileigentum widersprach einer Wohnnutzung. Eine solche war auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil eine Nutzung zu Wohnzwecken bei typisierender Betrachtung mehr stört als die in der Teilungserklärung genannte Nutzung als Lager.
Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hält dagegen die Nutzung als Wohnung für zulässig und weist die Klage ab.
Nach wie vor handelt es sich bei der betreffenden Einheit um Teileigentum. Hieran hat die erklärte Nutzungsänderung nichts geändert, denn ein Sondereigentümer kann ohne Mitwirkung der übrigen Eigentümer sein Teileigentum nicht in Wohnungseigentum umwandeln.
Grundsätzlich liegt eine zweckwidrige Nutzung vor. Denn eine als Teileigentum ausgewiesene Einheit darf grundsätzlich nicht zu Wohnzwecken genutzt werden. Die Wohnnutzung der Teileigentumseinheit ist aber ausnahmsweise deshalb zulässig, weil sie nicht mehr stört als die zulässige Nutzung des Teileigentums.
Ausgangspunkt bei der Prüfung, ob die tatsächliche Nutzung bei typisierender Betrachtung mehr stört als die in der Gemeinschaftsordnung vorgesehene, ist, welche Nutzung der Einheit nach der Gemeinschaftsordnung zulässig ist. Hier ist die Einheit in der Teilungserklärung zwar als “Lager” bezeichnet, eine solche Bezeichnung gibt im Zweifel aber keine Einschränkung der zulässigen Nutzung vor. Gegen eine Einschränkung spricht auch die Befugnis des Teileigentümers zu beliebigen baulichen Veränderungen. Somit ist in der Einheit jede Nutzung möglich, die in einer Teileigentumseinheit zulässigerweise ausgeübt werden kann.
Bei der Vergleichsbetrachtung, ob die Nutzung der Einheit als Wohnung mehr stört als die nach der Teilungserklärung vorgesehene, ist daher nicht nur von einem Lagerraum auszugehen. Vielmehr sind alle gewerblichen Nutzungen einzubeziehen, zu denen sich die Einheit eignet und nach der Teilungserklärung ausgebaut werden darf.
Eine Wohnnutzung ist im Vergleich zu einer gewerblichen Nutzung bei typisierender Betrachtung nicht regelmäßig als störender anzusehen, sondern es kommt auf die Verhältnisse in der konkreten Anlage an.
Befindet sich eine Teileigentumseinheit in einem nur beruflichen oder gewerblichen Zwecken dienenden Gebäude, stört eine Wohnnutzung typischerweise mehr als die vorgesehene Nutzung.
Wenn eine Anlage aber sonst nur aus Wohnungen besteht, kann es sich anders verhalten. Eine Wohnnutzung ist nicht von vornherein die intensivste Form, eine Sondereigentumseinheit zu gebrauchen. So muss die Nutzung einer Teileigentumseinheit nicht auf die üblichen Geschäfts- oder Bürozeiten beschränkt sein. Auch werden Publikumsverkehr und Geruchs- und Lärmimmissionen bei einigen zulässigen Nutzungen nicht geringer sein als bei einer Wohnnutzung.
Eine Wohnnutzung wäre im Vergleich mit solch zulässigen Nutzungen und den hiermit üblicherweise verbundenen Beeinträchtigungen für die übrigen Wohnungseigentümer bei typisierender Betrachtungsweise nicht als störender anzusehen, wenn man die gewöhnlicherweise zu erwartenden Lärm- und Geruchsimmissionen, die Besucherfrequenz und die Nutzungszeiten berücksichtigt. Eine Wohnnutzung würde auch nicht zu höheren Kosten für die Gemeinschaft führen, weil die Gebäude laut Teilungserklärung insoweit getrennt behandelt werden sollen. Und schließlich können Unzuträglichkeiten aus einer gemischten Nutzung der Anlage nicht auftreten, weil es sich bei allen anderen Einheiten bereits um Wohnungen handelt.
Danach ist die Nutzung einer Teileigentumseinheit zu Wohnzwecken bei typisierender Betrachtungsweise jedenfalls dann nicht störender als die vorgesehene Nutzung und deshalb zulässig, wenn es wie hier an einer einschränkenden Zweckbestimmung für das Teileigentum fehlt, die Teileigentumseinheit in einem separaten Gebäude gelegen ist und auch die übrigen Sondereigentumseinheiten ausschließlich der Wohnnutzung dienen.
Umbau eines Wohnhauses: Warum der Architekt kein dauerhaftes Zutrittsrecht hat
Eine Klausel, wonach ein Architekt unbegrenzten Zugang zu einem umgebauten Wohnhaus hat, ist nicht zulässig. Er kann sich also nicht das dauerhafte Recht zusichern lassen, dass er das Haus nach Fertigstellung der Baumaßnahme betreten darf, um z. B. Fotos zu machen.
Hintergrund
Ein Architekt hatte im Jahr 2013 den Umbau eines Wohnhauses geplant und begleitet. Der Architektenvertrag enthält folgende Klausel: “Der Auftragnehmer ist berechtigt – auch nach Beendigung dieses Vertrags – das Bauwerk oder die bauliche Anlage in Abstimmung mit dem Auftraggeber zu betreten, um fotografische oder sonstige Aufnahmen zu fertigen.”
Im Jahr 2018 erbat der Architekt vom Bauherrn die Erlaubnis, das Haus zu betreten, um Fotografien anzufertigen. Der Bauherr lehnte dies ab.
Entscheidung
Die Klage des Architekten hatte letztlich keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof entschied, dass der Bauherr dem Architekten keinen Zutritt zum Haus gewähren muss.
Aus der Klausel im Architektenvertrag ließ sich ein Anspruch auf Zutritt nicht herleiten, denn diese benachteiligt den Bauherrn unangemessen und ist deshalb unwirksam.
Zwar kann ein Architekt ein berechtigtes Interesse haben, ein fertiggestelltes Bauwerk zum Fotografieren zu betreten; dies auch mehrfach, etwa um bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen fotografieren zu können und auch längere Zeit nach der Fertigstellung der Baumaßnahme. Die hier verwendete Klausel enthält jedoch keinerlei Einschränkung, weder in zeitlicher Hinsicht noch hinsichtlich der Anzahl der Betretungstermine. Auch räumt sie dem Bauherrn nicht die Möglichkeit ein, das Betreten des Hauses gänzlich abzulehnen, sondern gibt diesem lediglich das Recht, sich mit dem Architekten über das Betreten abzustimmen. Eine solch uneingeschränkte Berechtigung stellt einseitig die Interessen des Architekten in den Vordergrund und lässt die Privatsphäre des Bauherrn außer Acht. Dies beeinträchtigt den Bauherrn entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
Zur Verwalterbestellung bei der Umwandlung einer Einzelfirma in eine GmbH
Das Verwalteramt ist nicht als höchstpersönliches Rechtsverhältnis anzusehen und geht auf den Rechtsnachfolger über. Wenn also ein von einer Wohnungseigentümergemeinschaft bestellter Verwalter sein Einzelunternehmen in eine GmbH umwandelt, bleibt der Verwaltervertrag bestehen und geht auf die GmbH über.
Hintergrund
In einer Wohnungseigentümergemeinschaft war eine im Handelsregister eingetragene Einzelkauffrau bis Juni 2018 als Verwalterin bestellt. Im August 2017 gliederte sie ihr einzelkaufmännisches Unternehmen in eine GmbH aus und wurde deren Geschäftsführerin.
Auf einer Eigentümerversammlung im Mai 2018 beschlossen die Eigentümer, den Verwaltervertrag und die Verwalterbestellung der GmbH bis Juni 2021 zu verlängern.
Hiergegen erhob ein Wohnungseigentümer Anfechtungsklage.
Entscheidung
Der Bundesgerichtshof wies die Anfechtungsklage ab. Er entschied, dass der angefochtene Beschluss keine Neubestellung war, sondern vielmehr die Wiederwahl des amtierenden Verwalters. Und bei einer Wiederwahl sind keine Alternativangebote erforderlich.
Bei der Ausgliederung eines einzelkaufmännischen Unternehmens zur Neugründung einer Kapitalgesellschaft wie einer GmbH gehen Verwalteramt und -vertrag auf die Gesellschaft über. Von einem Übergang im Zuge einer Ausgliederung ausgenommen sind höchstpersönliche Rechte und Pflichten. Das Verwalteramt und der Verwaltervertrag sind aber in der Regel nicht als solch höchstpersönliche Rechtsverhältnisse anzusehen, und zwar auch dann nicht, wenn eine natürliche Person mit den Aufgaben des Verwalters betraut ist. Zwar hat die sachgerechte Erfüllung der Verwalterpflichten erhebliche Bedeutung für die Wohnungseigentümer. Diesen wird es daher darauf ankommen, einen fachkundigen Verwalter zu bestellen, dem sie zutrauen, seine Aufgaben ordnungsgemäß wahrzunehmen. Dieses Vertrauen ist aber auf die Leistungsfähigkeit und Kompetenz des vom Verwalter geführten Geschäftsbetriebs gerichtet und nicht auf die Person des Inhabers.
Mit der Umwandlung von einem Einzelunternehmen in eine GmbH muss auch kein Verlust an Sachkunde und Leistungsfähigkeit verbunden sein. So bedingt die Umwandlung von vornherein keinen personellen Wechsel in der Bearbeitung, wenn die Objektbetreuung von Mitarbeitern erbracht wird.
Dass Verwalteramt und -vertrag nicht auf die GmbH übergehen, entspräche auch nicht dem hypothetischen Willen der Parteien. Zum einen müsste der Verwalter in jeder von ihm verwalteten Gemeinschaft eine Eigentümerversammlung einberufen, um über eine Zustimmung zum Übergang oder eine neue Verwalterbestellung abzustimmen. Zum anderen haben die Wohnungseigentümer ein Interesse daran, dass die Verwaltung durchgängig gewährleistet ist und die Gemeinschaft nicht verwalterlos wird. Damit besteht auch ein praktisches Bedürfnis für den Übergang von Verwalteramt und -vertrag auf die GmbH.
Steuerrecht Arbeitnehmer
Mahlzeit vom Arbeitgeber: Kürzung der Verpflegungspauschalen auch ohne erste Tätigkeitsstätte?
Stellt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mahlzeiten zur Verfügung, werden die Verpflegungspauschalen gekürzt. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer nicht über eine erste Tätigkeitsstätte verfügt.
Hintergrund
A war im Jahr 2014 mehrere Monate als Offizier auf Schiffen tätig. An Bord stellte ihm der Arbeitgeber unentgeltlich Mahlzeiten zur Verfügung. An “Hafentagen” nahm A die zur Verfügung gestellte Bordverpflegung teilweise nicht in Anspruch. An einzelnen Tagen (ca. 10 Tage) musste sich die Mannschaft im Hafen selbst versorgen.
Der Arbeitgeber behandelte den Sachbezug der Mahlzeitengestellung als steuerfrei.
A machte für die 169 Tage, in der er auf See tätig war, Verpflegungsmehraufwand von 24 EUR täglich geltend. Das Finanzamt lehnte dies ab und verwies auf die Kürzungsregelung in § 9 Abs. 4a Satz 8 EStG.
Das Finanzgericht gab der Klage nur zu einem geringen Teil statt. Es erkannte die Verpflegungspauschale nur für die 10 Tage an, an denen A sich im Hafen selbst versorgen musste. Das Finanzgericht war der Auffassung, dass auch bei Arbeitnehmern ohne erste Tätigkeitsstätte eine Kürzung der Verpflegungspauschalen vorzunehmen ist.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof sah dies genauso und wies die Revision des A zurück. Auch wenn der Arbeitnehmer nicht über eine erste Tätigkeitsstätte verfügt, steht ihm für die Tage der Mahlzeitengestellung keine Verpflegungspauschale zu.
Wird der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig, hat er zur Abgeltung seiner Mehraufwendungen Anspruch auf die nach Abwesenheitszeiten gestaffelte Verpflegungspauschale.
Hat der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte, gilt dies entsprechend. Denn liegen die Voraussetzungen einer ersten Tätigkeitsstätte nicht vor und ist der Arbeitnehmer gleichwohl außerhalb seiner Wohnung beruflich tätig, befindet er sich ebenfalls auf Auswärtstätigkeit. Dementsprechend steht A dem Grunde nach die Verpflegungspauschale zu, auch wenn er als auf See tätiger Offizier keine erste Tätigkeitsstätte hatte und ein Schiff keine ortsfeste Einrichtung darstellt.
Die Verpflegungspauschale ist jedoch im Hinblick auf die vom Arbeitgeber des A zur Verfügung gestellten Mahlzeiten an Bord zu kürzen. Dies gilt auch für den Arbeitnehmer, der keine erste Tätigkeitsstätte hat, soweit ihm eine Mahlzeit zur Verfügung gestellt wird.
Die Neuregelung des Reisekostenrechts ab 2014 bezweckt eine Vereinfachung gegenüber der früheren Rechtslage: Einerseits Verzicht auf die Besteuerung des geldwerten Vorteils bei Mahlzeitengestellung, andererseits gleichzeitige Kürzung des Werbungskostenabzugs. Dabei wird typisierend davon ausgegangen, dass dem Arbeitnehmer für seine Verpflegung keine Mehraufwendungen entstehen. Dementsprechend werden die Verpflegungspauschalen gekürzt. Mit der Neuregelung sollte der Werbungskostenabzug für Verpflegungsmehraufwendungen bei Mahlzeitengestellung durch den Arbeitgeber für jede Form der auswärtigen beruflichen Tätigkeit entfallen.
Sammelstelle: Was bedeutet “typischerweise arbeitstägliches” Aufsuchen?
Für ein “typischerweise arbeitstägliches” Aufsuchen desselben Ortes muss der Arbeitnehmer nicht an seinen sämtlichen Arbeitstagen den vom Arbeitgeber festgelegten Ort aufsuchen. Jedoch reicht ein “typischerweise fahrtägliches” Aufsuchen des Sammelpunkts nicht aus.
Hintergrund
A ist bei einem Bauunternehmen als Baumaschinenführer angestellt. Er fuhr jeweils von seiner Wohnung aufgrund einer betriebsinternen Weisung zunächst zum Betriebssitz des Arbeitgebers (Sammelpunkt) und wurde von dort mit einem Sammelfahrzeug des Arbeitgebers an die jeweilige Baustelle gefahren. Dies betraf sowohl Fahrten mit täglicher Rückkehr als auch Fahrten zu Fernbaustellen, an denen A übernachtete. Die Einsätze auf den Fernbaustellen dauerten i. d. R. die gesamte Woche.
A machte die Kosten für die Fahrten zwischen der Wohnung und dem Sammelpunkt mit 0,30 EUR je gefahrenem km geltend. Das Finanzamt berücksichtigte die Aufwendungen nur mit der Entfernungspauschale in Höhe 0,30 EUR je Entfernungs-km.
Die Klage vor dem Finanzgericht hatte keinen Erfolg. A habe den von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort “typischerweise arbeitstäglich” aufgesucht.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof entschied, dass ein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des vom Arbeitgeber bestimmten Orts oder Gebiets kein ausnahmsloses Aufsuchen an sämtlichen Arbeitstagen erfordert.
Ein Arbeitnehmer kann für die Fahrten zu dem vom Arbeitgeber dauerhaft festgelegten Ort lediglich die Entfernungspauschale in Anspruch nehmen, wenn er keine erste Tätigkeitsstätte hat und nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen (sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen) zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat (sog. Sammelpunkt).
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts hatte A keine erste Tätigkeitsstätte, denn es fehlte an einer Zuordnung zu einer betrieblichen Einrichtung durch den Arbeitgeber. Auch fehlte eine arbeitsrechtliche Festlegung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweise arbeitstäglich oder je Arbeitswoche 2 volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll. Denn A sollte am Betriebssitz bzw. Sammelpunkt nicht als Baumaschinenführer tätig werden.
Das Finanzgericht hatte ein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des Sammelpunkts allein aufgrund der Anzahl der dorthin unternommenen Fahrten im Verhältnis zu den Gesamtarbeitstagen des A bejaht. Der Bundesfinanzhof ist dagegen der Ansicht, dass durch den Zusatz “typischerweise arbeitstäglich” klargestellt werden sollte, dass die Regelung lediglich für die Berufsgruppen gilt, die im Normalfall arbeitstäglich, z. B. an einem vom Arbeitgeber festgelegten Ort ein Fahrzeug übernehmen oder im Rahmen der Sammelbeförderung abgeholt werden.
Nach dem Wortlaut “typischerweise” ist nicht maßgebend, dass der Arbeitnehmer den vom Arbeitgeber bestimmten Ort oder das Gebiet ausnahmslos aufzusuchen hat. Vielmehr erfordert das Gesetz nur, dass er den Ort nach der Anweisung “typischerweise arbeitstäglich” aufzusuchen hat.
Stand von vornherein fest, dass A nicht nur auf 1-tägigen Baustellen, sondern auch auf mehrtägigen Fernbaustellen eingesetzt wird, würde kein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des Betriebssitzes vorliegen. Denn dann hätte von vornherein festgestanden, dass A den Betriebssitz nur an den Fahrtagen aufsuchen sollte. Ein nur typischerweise fahrtägliches Aufsuchen ist nicht ausreichend.
Wurde A dagegen grundsätzlich nur tageweise auf lokalen Baustellen und nur ausnahmsweise auf Fernbaustellen eingesetzt, wäre der Tatbestand des typischerweise arbeitstäglichen Aufsuchens erfüllt. Denn ein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen setzt nur voraus, dass dies i. d. R. zu erfolgen hatte, ohne dass ein ausnahmsloses Aufsuchen erforderlich wäre.
Der Bundesfinanzhof verwies die Sache an das Finanzgericht zurück. Dieses muss nun feststellen, ob A regelmäßig oder nur ausnahmsweise auch auf Fernbaustellen tätig war.
Steuerrecht Privatvermögen
Elektronische Klageerhebung: Was muss in der Rechtsbehelfsbelehrung stehen?
Weist die Rechtsbehelfsbelehrung auf die Vorschrift zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten gem. § 52a FGO hin, genügt dies. Denn dadurch kann sich der Rechtsuchende bezüglich der Wahl dieser Übermittlungsform nähere Informationen verschaffen.
Hintergrund
Die Familienkasse erließ einen Bescheid über die Aufhebung von Kindergeld und forderte zu viel ausgezahlte Kindergeld vom Kläger zurück. Den Einspruch des Klägers wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 26.8.2019 zurück. In der Rechtsbehelfsbelehrung wies die Familienkasse u. a. darauf hin, dass gegen die Entscheidung Klage beim Finanzgericht schriftlich oder als elektronisches Dokument eingereicht werden kann. Die Voraussetzung zur elektronischen Einreichung der Klage seien in § 52a FGO geregelt. Weiterhin verwies die Rechtsbehelfsbelehrung auf die Internetseite des Finanzgerichts.
Am 28.11.2019 erhob der Kläger per Telefax Klage und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags führte der Kläger aus, dass er dem Finanzgericht am 26.9.2019 eine einfache E-Mail an die in dessen Internetseite genannte DE-Mail-Adresse mit einer als Anhang beigefügten Klageschrift übermittelt hatte. Ein Eingang seiner E-Mail nebst Anhang konnte jedoch nicht festgestellt werden. Der Kläger hält seine Klage nicht für verfristet, weil die Rechtsbehelfsbelehrung in der Einspruchsentscheidung fehlerhaft war. Denn der Rechtssuchende wurde über die Klageerhebung per E-Mail nur unvollständig belehrt.
Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht verwarf sie als unzulässig, weil sie außerhalb der Monatsfrist und damit verspätet eingereicht worden war. Die 1-monatige Klagefrist beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt wurde. Ist Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, ist die Einlegung des Rechtsbehelfs grundsätzlich innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zulässig.
Im vorliegenden Fall war die Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig. Zum einen war der Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung von Rechtsbehelfen nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht erforderlich. Zum anderen wies die Rechtsbehelfsbelehrung an mehreren Stellen unmissverständlich auf die Möglichkeit einer elektronischen Klageerhebung hin. Weitere Erläuterungen zu den Modalitäten einer elektronischen Klageerhebung waren nicht erforderlich. Vielmehr genügte der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Vorschrift zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten gem. § 52a FGO, um den Rechtsuchenden in die Lage zu versetzen, sich bei der Wahl dieser Übermittlungsform nähere Informationen zu verschaffen.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kam auch deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nicht glaubhaft machen konnte, dass ihn kein Verschulden an der Fristversäumnis traf.
Kindergeld: Wann der schwerbehinderte erwachsene Bruder als Pflegekind gilt
Ein Pflegekindschaftsverhältnis bedarf der Feststellung eines “familienähnlichen Bands”. Das gilt auch dann, wenn tatsächlich verwandtschaftliche Beziehungen gegeben sind und damit ein “familiäres Band” besteht.
Hintergrund
Die Klägerin war die Schwester eines im Jahr 2018 verstorbenen schwerbehinderten Mannes mit einem GdB von 100. In seinem Schwerbehindertenausweis waren u. a. die Merkzeichen “G” und “H” eingetragen. Darüber hinaus war vermerkt, dass die Notwendigkeit ständiger Begleitung bestand. Die Klägerin übernahm nach dem Tod der Mutter die Betreuung ihres Bruders und wurde auch zu seiner gesetzlichen Betreuerin bestellt.
Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Kindergeld für ihren Bruder wurde von der Familienkasse abgelehnt.
Danach hatte das Finanzgericht die Familienkasse verurteilt, der Klägerin Kindergeld ab Juni 2017 zu bewilligen. Der Bundesfinanzhof hatte das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Rechtssache an das Finanzgericht zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang war nun zu klären, ob die Behinderung so schwer war, dass der Zustand des Bruders dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entsprach. Auch waren Feststellungen zu treffen, die auf eine Erziehungsfunktion der Klägerin und ein Autoritätsverhältnis zu ihr schließen ließen.
Entscheidung
Die Klage hatte im zweiten Rechtsgang Erfolg. Das Finanzgericht entschied, dass zwischen der Klägerin und ihrem schwerbehinderten Bruder, dessen geistiger Zustand dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entsprach, ein familienähnliches Band bestanden hat. Der Schwester stand daher Kindergeld für ihren Bruder als Pflegekind zu.
Der Bruder war in den Haushalt der Klägerin aufgenommen und dieser bildete den Mittelpunkt der gemeinsamen Lebensinteressen. Die Aufenthalte des Bruders in der Wohnung der Klägerin stellten keine bloßen Besuche dar, sondern waren von einer selbstverständlichen Regelmäßigkeit geprägt. Eine den Besuchscharakter überschreitende Dauer lag bei einem Aufenthalt von insgesamt mehr als 3 Monaten pro Jahr vor.
Der Umstand, dass es mittlerweile nicht mehr dem wissenschaftlichen Standard im Umgang mit behinderten erwachsenen Menschen entspricht, diese wie Kinder “zu erziehen”, stand hier der Annahme eines “familienähnlichen Bands” nicht entgegen.
Schenkung und anschließender Verkauf eines Grundstücks: Gestaltungsmissbrauch?
Wird ein Grundstück unentgeltlich auf die Kinder übertragen und verkaufen diese das Grundstück sofort weiter, liegt grundsätzlich kein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor. Die Berücksichtigung des Veräußerungsgewinns richtet sich bei den Kindern nach deren steuerlichen Verhältnissen.
Hintergrund
A erwarb im Jahr 2011 ein Grundstück. Im Jahr 2012 schenkte sie es ihren beiden volljährigen Kindern jeweils zur Hälfte. Am selben Tag verkauften die Kinder das Grundstück zu einem höheren Preis an Z. Die Verkaufsverhandlungen hatte allein A geführt.
A ging davon aus, dass sie keinen Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft erzielt hatte. Das Finanzamt sah dagegen in der Schenkung an die Kinder einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und rechnete deshalb den Veräußerungsgewinn der A zu.
Die Klage vor dem Finanzgericht hatte keinen Erfolg. Das Gericht entschied, dass das Veräußerungsgeschäft bei A zu erfassen ist. Die nicht angemessene Gestaltung führte zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof sah dies anders und kam zu dem Ergebnis, dass § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift ist, die § 42 AO vorgeht.
A hat das im Jahr 2011 angeschaffte Grundstück nicht veräußert, sondern 2012 durch Schenkung unentgeltlich auf die Kinder übertragen. Die unentgeltliche Übertragung ist keine Veräußerung i. S. v. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Da A somit das Grundstück nicht veräußert hat, ist bei ihr auch kein Veräußerungsgewinn entstanden.
§ 23 Abs. 1 Satz 3 EStG regelt die Entstehung des Veräußerungsgewinns bei vorangegangenem unentgeltlichen Erwerb. Es handelt sich um eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift i. S. v. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO. Vom Rechtsvorgänger verwirklichte Besteuerungsmerkmale werden dem unentgeltlichen Rechtsnachfolger persönlich zugerechnet. Damit wird das private Veräußerungsgeschäft bei demjenigen besteuert, der die Veräußerung vorgenommen und den Veräußerungserlös tatsächlich erhalten hat. Die Vorschrift dient der Verhinderung von Missbräuchen. Es soll verhindert werden, dass ein Wirtschaftsgut durch unentgeltliche Übertragung (mangels Veräußerung) aus der Steuerverhaftung ausscheidet und beim Rechtsnachfolger (mangels Anschaffung) nicht steuerverstrickt wird. Durch die unentgeltliche Übertragung auf einen Dritten könnte ohne die Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG die Besteuerung als privates Veräußerungsgeschäft umgangen werden.
Im vorliegenden Fall ist mit der unentgeltlichen Übertragung des Grundstücks und der anschließenden Veräußerung der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt. Damit ist die Anwendung von § 42 AO ausgeschlossen.
Das Finanzgericht hat keine Umstände festgestellt, aufgrund derer die Veräußerung ausnahmsweise nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden könnte. Insbesondere liegt nach Ansicht des Bundesfinanzhofs kein Gestaltungsmissbrauch vor. Denn die vertraglichen Regelungen enthalten keine unangemessenen Vereinbarungen. Die Kinder konnten über das geschenkte Grundstück frei verfügen. Sie waren insbesondere nicht vertraglich gebunden, an Erwerber zu veräußern, mit denen ausschließlich die A zuvor Verkaufsverhandlungen geführt hatte. Sie waren auch nicht verpflichtet, den Veräußerungserlös an A abzuführen.
Auch dass der Veräußerungsgewinn bei den Kindern niedriger besteuert wird als bei A, führt nicht zur Annahme eines Missbrauchs. Denn es ist nicht verwehrt, die rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine geringere steuerliche Belastung ergibt. Das Bestreben, Steuern zu sparen, macht für sich allein eine Gestaltung nicht unangemessen.
Steuererstattung bzw. -nachzahlung: Warum der Zinssatz von 6 % verfassungswidrig ist
Steuernachforderungen und -erstattungen werden mit 6 % pro Jahr verzinst. Das ist zu viel, entschied das Bundesverfassungsgericht – zumindest für Zeiträume ab 2014.
Hintergrund
Nach § 233a AO wird bei der Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt. Der Zinslauf beginnt erst nach einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten.
Die Vollverzinsung betrifft sowohl Steuernachzahlungen als auch Steuererstattungen.
Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Verzinsung von Steuernachforderungen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % nach Ablauf einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird, gegenüber Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wird. Hintergrund hierfür ist das seit Jahren anhaltende niedrige Zinsniveau auf dem Kapitalmarkt, das in diametralem Gegensatz zur 6-prozentigen Jahresverzinsung durch die Finanzverwaltung steht.
Diese Ungleichbehandlung sieht das Gericht für in die Jahre 2010 bis 2013 fallende Verzinsungszeiträume als noch als verfassungsgemäß an. Dies gilt jedoch nicht mehr für Verzinsungszeiträume ab 2014. Die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO mit dem Grundgesetz umfasst dabei auch die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen.
Weitergeltung der bisherigen gesetzlichen Regelung
Das Bundesverfassungsgericht differenziert insoweit, als es das bisherige Recht für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume für weiterhin anwendbar erklärt wird. Für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2019 und später fallen, kommt dagegen eine Weitergeltung des bisherigen Rechts dagegen nicht mehr in Betracht. Hier wird der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31.7.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.
Rechtsfolgen für die Besteuerungspraxis
Das Bundesverfassungsgericht hat sich nur zur Vollverzinsung nach § 233a AO geäußert, nicht jedoch zu Stundungszinsen, Hinterziehungszinsen, Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge und Aussetzungszinsen. Da jedoch das Zinsniveau in allen Verzinsungsfällen einheitlich 0,5 % pro Monat beträgt, wird man die Entscheidungsgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts auf alle Zinsarten anwenden können.
3 Fallgruppen sind zu unterscheiden:
- Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2013 und früher fallen, sind von der Verfassungswidrigkeit nicht betroffen, d. h. hier ist der Zinssatz von 0,5 % pro Monat nicht zu beanstanden. Steuerpflichtige, die hier Einspruch eingelegt haben, müssen mit einer Zurückweisung ihres Einspruchs rechnen. Im Falle einer Aussetzung der Vollziehung wird der ausgesetzte Betrag gezahlt werden müssen.
- Für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2014 bis einschließlich 2018 fallen, bleibt das aktuelle Recht weiterhin anwendbar. Dies bedeutet, dass auch in diesen Fällen eingelegte Einsprüche abgewiesen werden und ausgesetzte Beträge gezahlt werden müssen. Soweit die Zinsfestsetzung vorläufig erfolgt ist, wird die Finanzverwaltung die Vorläufigkeit aufheben.
- Lediglich für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2019 und später fallen, muss der Gesetzgeber bis zum 31.7.2022 “nachbessern” und eine verfassungskonforme gesetzliche Neuregelung schaffen. Von dieser Neuregelung wird jedoch nur derjenige profitieren, der gegen den Zinsbescheid Einspruch eingelegt hat oder dessen Zinsbescheid vorläufig ergangen ist. Formell und materiell bestandskräftige Zinsbescheide ohne Vorläufigkeitsvermerk können aufgrund der anstehenden gesetzlichen Neuregelung nicht mehr geändert werden.
Studium neben Vollerwerbstätigkeit: Liegt noch eine einheitliche Erstausbildung vor?
Für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung ist der Gesamtplan des Kindes, sein Berufsziel erst durch eine weitere Ausbildung zu erreichen, nicht das allein maßgebliche Kriterium. Insbesondere bei einem Studium neben einer Vollerwerbstätigkeit ist darüber hinaus zu prüfen, ob die Berufstätigkeit oder die Ausbildung im Vordergrund steht.
Hintergrund
Der Vater V erhielt Kindergeld für seinen Sohn M. M beendete im Juni 2013 seine Ausbildung zum Bankkaufmann und trat eine Vollerwerbsstelle an. Die Familienkasse hob daraufhin die Kindergeldfestsetzung für Juli 2013 bis Januar 2014 auf und forderte das Kindergeld zurück. Im Februar 2014 begann M einen berufsbegleitenden Studiengang zum Bankfachwirt/Bankkolleg, der bis Juni 2016 andauerte. Die Zulassung zum Studium erfolgte bereits im Dezember 2013.
Im Dezember 2017 beantragte V rückwirkend Kindergeld für den Zeitraum ab der Beendigung der Ausbildung zum Bankkaufmann im Juli 2013 bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres im Februar 2015. M hatte mit der Ausbildung zum Bankkaufmann sein angestrebtes Berufsziel noch nicht erreicht. Die Ausbildung zum Bankkaufmann und die folgenden Studiengänge (Bankfachwirt/Bankkolleg) waren aufeinander abgestimmt und stellten eine einheitliche Berufsausbildung dar.
Das Finanzgericht entschied, dass der Gesamtplan des Kindes, das Ende der Berufsausbildung erst durch den Abschluss “Bankfachwirt” zu erreichen, die Vollzeiterwerbstätigkeit überlagerte.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof widerspricht der Auffassung des Finanzgerichts, dass der Gesamtplan des Kindes das maßgebliche Kriterium bei der Prüfung einer erstmaligen Berufsausbildung ist. Die Erstausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist enger auszulegen als die Berufsausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Für die Abgrenzung einer einheitliche Erstausbildung (mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit) von einer Erwerbstätigkeit (mit daneben berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) sind die bestehenden Rechtsprechungsgrundsätze fortzuentwickeln und zu präzisieren.
An einer einheitlichen Erstausbildung kann es fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine (auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete) Nebensache darstellen, ist anhand einer Gesamtwürdigung zu entscheiden.
Nichtzutreffend ist die Würdigung des Finanzgerichts, dass der berufsbegleitende Studiengang “Bankfachwirt” zusammen mit der Ausbildung zum Bankkaufmann noch eine einheitliche Erstausbildung darstellte. Der Gesamtplan des Kindes, die Ausbildung endgültig erst mit Abschluss des Bankbetriebswirts als beendet anzusehen, kann nicht das allein maßgebliche Kriterium für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung sein und alle anderen Kriterien überlagern. Eine einheitliche Erstausbildung kann daher durch das angestrebte Berufsziel des Kindes nicht begründet werden. Entscheidend sind die vom Bundesfinanzhof entwickelten Kriterien, ob die Berufstätigkeit oder die Ausbildung im Vordergrund steht.
Steuerrecht Unternehmer
Aktive Rechnungsabgrenzungsposten: Bildung auch bei geringfügigen Beträgen?
Auch bei geringfügigen Beträgen müssen aktive Rechnungsabgrenzungsposten gebildet werden. Eine Pflicht zur Bildung nur bei wesentlichen Fällen lässt sich weder dem Grundsatz der Wesentlichkeit noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entnehmen.
Hintergrund
X ermittelte seine Gewinne durch Betriebsvermögensvergleich. Nach einer Außenprüfung erhöhte das Finanzamt u. a. die aktiven Rechnungsabgrenzungsposten. X hatte für verschiedene vorausgezahlte zeitraumbezogene Aufwendungen keine aktiven Rechnungsabgrenzungsposten gebildet. Es handelte sich um Versicherungsbeiträge, Aufwendungen für Werbeanzeigen und Kraftfahrtsteuer-Zahlungen. Insgesamt waren es rund 20 Positionen im Bereich zwischen 12 EUR und 400 EUR und jährliche Beträge von insgesamt zwischen rund 1.300 EUR und 1.500 EUR.
Das Finanzgericht gab der Klage statt. Wegen der geringen Bedeutung müssten keine Rechnungsabgrenzungsposten gebildet werden.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof widersprach dem Finanzgericht und entschied, dass weder aus dem Grundsatz der Wesentlichkeit noch aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Recht folgt, in Fällen von geringer Bedeutung auf eine periodengerechte Gewinnermittlung zu verzichten.
Das Gesetz regelt in § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG für Ausgaben vor dem Abschlussstichtag, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen, ein abschließendes Aktivierungsgebot. Schon nach dem Gesetzeswortlaut hat der Steuerpflichtige insoweit kein Wahlrecht. Da es dem Sinn und Zweck der Gewinnermittlung entspricht, den vollen Gewinn zu erfassen, kann es nicht im Belieben des Steuerpflichtigen stehen, sich durch Nichtaktivierung von Wirtschaftsgütern, die handelsrechtlich aktiviert werden dürfen, ärmer zu machen, als er ist. Bilanzierungswahlrechte im Steuerrecht würden auch nicht im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung stehen.
Das HGB verzichtet in bestimmten Fällen auf den Ausweis unwesentlicher Positionen (z. B. bei der Bildung von Durchschnittswerten). Auch das EStG zeigt, z. B. bei der Sofortabsetzung von geringwertigen Wirtschaftsgütern nach § 6 Abs. 2 EStG, dass ein periodengerechter Ausweis entbehrlich sein kann. Für ein Wahlrecht im Rahmen des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG hätte es aber einer gesetzlichen Regelung bedurft. Der Gedanke des § 6 Abs. 2 EStG kann nicht auf die Bildung von RAP übertragen werden. Zum einen sind diese nicht als Wirtschaftsgut zu qualifizieren. Zum anderen wird mit der Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter (neben der Vereinfachung) auch der weitere Zweck der Verbesserung der Selbstfinanzierung der Unternehmen verfolgt. Dieser Förderzweck des § 6 Abs. 2 EStG wurde vom Gesetzgeber nicht in § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG aufgenommen.
Letztlich steht der Aufwand bei der Rechnungsabgrenzung in Fällen von geringer Bedeutung nicht außer Verhältnis zur Verbesserung des Einblicks in die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens. Für die (zeitraumbezogene) Berechnung der Höhe der Rechnungsabgrenzungsposten nach den Verhältnissen der noch ausstehenden Gegenleistung zur gesamten Leistung sind keine Schwierigkeiten ersichtlich. Stehen die Werte der Rechnungsabgrenzungsposten eindeutig fest, sind sie auch in die Bilanz aufzunehmen, selbst wenn sie einen verhältnismäßig geringen Betrag aufweisen. Außerdem kann es bei einer Vielzahl nicht berücksichtigter, geringfügiger aktiver Rechnungsabgrenzungsposten durchaus insgesamt zu einer bedeutenden Verzerrung der Vermögens- und Ertragslage kommen.
Bareinzahlungen auf ein betriebliches Konto: Mittelherkunft ist anzugeben
Verschweigt der Betriebsinhaber bezüglich einer Bareinzahlung auf ein betriebliches Konto die Identität der leistenden Person, darf das Finanzamt den entsprechenden Betrag als Betriebseinnahme behandeln.
Hintergrund
Die Klägerin betreibt u. a. eine Finanz- und Vermögensberatung. Im Februar 2017 zahlte sie einen Betrag von insgesamt 70.000 EUR in bar auf ihr betriebliches Konto in 2 Teilbeträgen ein. Auf Nachfrage des Finanzamts über die Herkunft der Mittel gab sie an, dass es sich um ein Darlehen eines im Ausland ansässigen zukünftigen Ehepartners handelte. Dieser besaß nach Angaben der Klägerin in seinem Heimatland absoluten Schutz seiner Identität und Privatsphäre, sodass sie aus Gründen des Identitätsschutzes keine weiteren Auskünfte erteilen kann.
Das Finanzamt behandelte die Bareinzahlungen als unversteuerte Einkünfte und setzte deshalb bei der Einkommensteuerveranlagung sonstige Einkünfte i. H. v. 70.000 EUR an. Dagegen wehrte sich die Klägerin vor dem Finanzgericht.
Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht beanstandete den Ansatz des Betrags von 70.000 EUR als Einnahme nicht. Handelt es sich um einen im Ausland ansässigen Darlehensgeber, kann auf dessen Benennung nicht verzichtet werden. Insoweit trifft die Klägerin eine erhöhte Mitwirkungspflicht.
Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass ein Steuerpflichtiger bei der Einzahlung von Mitteln auf ein betriebliches Konto bei der Prüfung der Frage, ob steuerpflichtige Einnahmen oder nicht steuerpflichtige Vermögenszugänge (insbesondere Darlehen oder Einlagen) vorliegen, wegen der von ihm selbst hergestellten Verbindung zwischen Privat- und Betriebsvermögen verstärkt zur Mitwirkung verpflichtet sei.
Deshalb war davon auszugehen, dass es sich bei den unaufgeklärten Kapitalzuführungen um nicht versteuerte Betriebseinnahmen der Klägerin aus ihrem Einzelunternehmen handelte. Keine Rolle spielte, dass das Finanzamt den Betrag bei den sonstigen Einkünften erfasste, denn die Höhe des Gesamtbetrags änderte sich durch die Erfassung des Betrags als gewerbliche Einkünfte nicht.
Betriebsprüfung: Anforderung von Unterlagen muss bestimmt und verhältnismäßig sein
Fordert das Finanzamt einen Steuerpflichtigen zu Beginn einer Außenprüfung auf, einen Datenträger “nach GDPdU” zur Verfügung zu stellen, ohne dies näher zu spezifizieren, ist dies rechtswidrig.
Hintergrund
Die Rechtsanwalts-Partnerschaftsgesellschaft P ermittelte ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung. Das Finanzamt erließ für den Zeitraum 2012 bis 2014 gegenüber P eine Prüfungsanordnung. Zusammen mit der Prüfungsanordnung bat der Prüfer zu Beginn der Betriebsprüfung um “die Überlassung eines Datenträgers nach GDPdU” (Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen nach dem BMF-Schreiben v. 16.7.2001, BStBl 2001 I S. 415).
Das Finanzgericht entschied, dass der Verweis auf die GDPdU für die Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit hinsichtlich Verwertung und Speicherung von Daten in zeitlicher und örtlicher Hinsicht nicht ausreicht und gab der Klage der P statt.
Entscheidung
Das Finanzamt hatte mit seiner Revision keinen Erfolg. Der Bundesfinanzhof entschied, dass die Aufforderung des Finanzamts bereits mangels hinreichender Begrenzung des Umfangs des beabsichtigten Zugriffs auf die Daten der P rechtswidrig war. Selbst wenn man der Aufforderung den Inhalt beimessen würde, dass das Finanzamt mittels des Datenträgers nur auf gem. § 147 Abs. 1 AO aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtige Unterlagen und Daten der P zugreifen will, ist die Aufforderung unverhältnismäßig und rechtswidrig. Denn sie enthält keine Beschränkung, dass der überlassene Datenträger vom Prüfer nur in den Geschäftsräumen der P oder in den Diensträumen des Finanzamts ausgewertet werden darf.
Die Aufforderung des Finanzamts, Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger für eine Außenprüfung zur Verfügung zu stellen, ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt. Wie der Regelungsgehalt zu verstehen ist, bestimmt sich danach, wie der Adressat den Inhalt des Verwaltungsakts nach dessen objektivem Sinngehalt unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen durfte.
Die Aufforderung zur Überlassung des Datenträgers musste von der P dahin verstanden werden, dass das Finanzamt mittels des Datenträgers unbegrenzt auf alle elektronisch gespeicherten Unterlagen zugreifen wollte. Damit überschreitet die Aufforderung die Prüfungsbefugnis des Finanzamts nach § 147 Abs. 6 AO und ist demnach rechtswidrig. Denn der Umfang der Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 AO und damit zugleich der Umfang der Zugriffsbefugnis des Finanzamts nach § 147 Abs. 6 AO ist auf Unterlagen begrenzt, die zum Verständnis und zur Überprüfung der steuergesetzlichen Aufzeichnungspflichten von Bedeutung sind. Eine hinreichende Begrenzung der Aufforderung ergibt sich nicht aus dem Verweis auf die GDPdU. Daraus lässt sich nicht mit der gebotenen Klarheit erkennen, dass das Finanzamt nur die Überlassung derjenigen Datenbestände verlangt hat, für die ihm eine Zugriffsbefugnis zusteht.
Die Aufforderung zur Datenträgerüberlassung ist zudem unverhältnismäßig. Denn das Finanzamt beabsichtigte mittels der Datenüberlassung, auch außerhalb der Geschäftsräume der P und der Dienststelle – etwa auf den Dienstlaptops der Außenprüfer – auf die Daten der P zuzugreifen und diese auszuwerten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es jedoch, die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der geschützten Daten von Berufsgeheimnisträgern zu berücksichtigen und zu verhindern, dass die Daten außerhalb der Geschäftsräume des Steuerpflichtigen oder der Diensträume der Finanzverwaltung in fremde Hände geraten können. Auch die Vorgaben der nunmehr geltenden GoBD genügen insoweit nicht, da sie nicht dazu verpflichten, die Daten nicht ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen außerhalb der Geschäftsräume des Steuerpflichtigen und des Finanzamts auszuwerten.
Ist der Betrieb von Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften umsatzsteuerfrei?
Betreibt eine GmbH für Länder und Kommunen eine Flüchtlingsunterkunft, kann dies von der Umsatzsteuer befreit sein. Das gilt auch für den Betrieb einer kommunalen Obdachlosenunterkunft.
Hintergrund
Die X-GmbH bewirtschaftete im Jahr 2014 eine Vielzahl von Unterbringungseinrichtungen für Flüchtlinge, Aussiedler und Obdachlose. Dabei handelte es sich sowohl um Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge in kommunaler Trägerschaft als auch um Erstaufnahmeeinrichtungen verschiedener Bundesländer sowie um eine städtische Obdachlosenunterkunft. Die GmbH verantwortete die Ausstattung, Reinigung und personelle Besetzung der Unterkünfte sowie die soziale Betreuung der untergebrachten Personen. Die GmbH wurde aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit dem jeweiligen Träger der Unterkunft (Bundesländer, Städte und Landkreise) tätig. Für ihre Leistungen erhielt sie Zahlungen, die sich nach der Zahl der betreuten Personen oder nach einem Pauschalbetrag bemaßen. Die GmbH wies in ihren Rechnungen keine Umsatzsteuer aus.
Das Finanzamt behandelte die Umsätze als umsatzsteuerpflichtig. Die dagegen gerichtete Klage der GmbH hatte vor dem Finanzgericht keinen Erfolg. Dieses entschied, dass die GmbH eine einheitliche, komplexe sonstige Leistung eigener Art erbringt, die weder nach nationalem noch nach Unionsrecht steuerbefreit ist.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof sah dies anders und bejahte die Steuerbefreiung nach Unionsrecht. Denn – entgegen der Auffassung des Finanzgerichts – fehlt es nicht an der Anerkennung der GmbH als Einrichtung mit sozialem Charakter i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.
Die Befreiung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG greift nicht, da die GmbH keine Grundstücke an die Träger der Unterkünfte überlässt und auch gegenüber den dort untergebrachten Personen keine steuerfreien Vermietungsleistungen erbringt. Die von der GmbH erbrachten Leistungen sind auch nicht nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG steuerbefreit. Denn sie sind nicht mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbunden. Ebenso wenig sind die von der GmbH erbrachten Leistungen nach § 4 Nr. 18 UStG befreit. Denn die GmbH ist weder ein amtlich anerkannter Verband der freien Wohlfahrtspflege noch einem solchen Verband als Mitglied angeschlossen.
Die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind.
Der Betrieb von Flüchtlingsunterkünften ist eine derartige Dienstleistung. Das von der GmbH erbrachte Leistungsbündel stellt eine einheitliche Leistung in Gestalt des Betriebs der jeweiligen Unterkunft dar. Gegen die Steuerbefreiung spricht nicht, dass allgemeine Geschäftsführungs- und Verwaltungsleistungen nicht zu den eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen zählen. Denn die Betreiberleistungen der GmbH gehen über allgemeine Geschäftsführungs- und Verwaltungsleistungen hinaus. Sie umfassen auch die Ausstattung und Reinigung der Räumlichkeiten, die soziale Unterstützung der Flüchtlinge sowie die personelle Besetzung der Unterkünfte.
Die Aufstellung der Regeln, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann, obliegt dem innerstaatlichen Recht. Zu den maßgeblichen Gesichtspunkten gehören: das Bestehen spezifischer Vorschriften der sozialen Sicherheit, das Gemeinwohlinteresse, ähnliche Anerkennung für andere Steuerpflichtige und die Übernahme der Kosten durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit, insbesondere, wenn die privaten Wirtschaftsteilnehmer vertragliche Beziehungen zu diesen Einrichtungen unterhalten.
Die Anerkennung der GmbH folgt zum einen aus den spezifischen für sie geltenden Vorschriften (Flüchtlingsaufnahmegesetze) und zum anderen aufgrund der Kostentragung durch die öffentliche Hand (Kommunen und Länder). Ferner dient die GmbH dem Gemeinwohlinteresse. Denn aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums folgen Sozialstandards im Asylverfahren, zu denen auch eine angemessene Unterkunft gehört. Die danach bestehende Anerkennung der GmbH im Bereich der Flüchtlingsunterkünfte wirkt auch für die gleichartigen Leistungen der GmbH beim Betrieb der Erstaufnahmeeinrichtung und der Obdachlosenunterkunft.
Ist die Mitverpachtung von Betriebsvorrichtungen steuerpflichtig?
Ist nur die eigenständige Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen steuerpflichtig oder auch die Vermietung als Nebenleistung im Rahmen einer steuerfreien Gebäudeverpachtung? Diese Frage hat der Bundesfinanzhof dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt.
Hintergrund
X verpachtete in den Jahren 2010 bis 2014 Stallgebäude zur Putenaufzucht mit für diesen Zweck dauerhaft eingebauten Vorrichtungen und Maschinen. Zugrunde lag ein einheitliches Entgelt, das nicht auf die Überlassung des Stalls einerseits und Vorrichtungen und Maschinen andererseits aufgeteilt war.
X ging davon aus, dass die Verpachtung insgesamt umsatzsteuerfrei ist. Das Finanzamt vertrat dagegen der Ansicht, dass das Pachtentgelt aufzuteilen ist. 20 % entfielen auf die Vorrichtungen und ist insoweit umsatzsteuerpflichtig.
Das Finanzgericht gab der Klage statt und entschied, dass es sich bei der Verpachtung der Vorrichtungen lediglich um eine Nebenleistung zu der Verpachtung des Gebäudes handelte. Die Verpachtung ist auch insoweit steuerfrei, als sie auf die Überlassung der Vorrichtungen entfällt.
Entscheidung
Der Bundesfinanzhof legt die Frage der Steuerpflicht der Mitverpachtung der Betriebsvorrichtungen dem Europäischen Gerichtshof vor.
Nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL ist die “Vermietung und Verpachtung von Grundstücken” steuerbefreit. Hiervon ist die “Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen” ausgenommen.
Im Streitfall liegt eine insgesamt steuerfreie Verpachtung vor. Als Gebäude wird der Stall von der Steuerfreiheit erfasst. Für die Betriebsvorrichtungen gilt dies ebenfalls, da die Pacht einer Immobilie mit Betriebsvorrichtungen eine einheitliche Leistung mit der Verpachtung der Immobilie als Hauptleistung darstellt.
Art. 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL schließt die “Vermietung” von auf Dauer eingebauten Betriebsvorrichtungen von der Steuerbefreiung aus. Selbst wenn die Regelung nur den Fall der Vermietung, nicht auch den der Verpachtung erfassen sollte, ist zu beachten, dass die Mitgliedstaaten zu weiteren Ausnahmen von der Befreiung ermächtigt werden. Das nationale Recht ordnet die Steuerpflicht der Verpachtung von Betriebsvorrichtungen durch § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG an. Es stellt sich dann die Frage, ob der auf der Grundlage von Art. 135 Abs. 2 Satz 2 MwStSystRL angeordneten Steuerpflicht der Charakter eines Aufteilungsgebots zukommt oder ob diese Steuerpflicht gegenüber der Einheitlichkeit der Leistung nachrangig ist.
Für die Auslegung von Art. 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL gibt es 2 Möglichkeiten: Vorrang der Einheitlichkeit der Leistung oder Gebot der Aufspaltung in einen steuerfreien und einen steuerpflichtigen Teil.
Zum einen könnte ein Vorrang gegenüber Art 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL bestehen. Die Folge des Vorrangs der Einheitlichkeit wäre, dass sich die Anwendung von Art. 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL auf die Fälle beschränkt, in denen die Überlassung der Vorrichtungen eigenständig und damit ohne Zusammenhang mit einer weitergehenden Gebäude- oder Grundstücksüberlassung erfolgt.
Gegen die Einbeziehung der Überlassung von Betriebsvorrichtungen in die Steuerbefreiung der Grundstücksvermietung unter dem Gesichtspunkt der unselbstständigen Nebenleistung könnte sprechen, dass die Verpachtung von Vorrichtungen im Widerspruch zum “passiven Charakter” der Vermietung des Grundstücks steht. Denn die Überlassung von Maschinen und Vorrichtungen erfordert (aktive) geschäftlicher Tätigkeiten (Aufsicht, Unterhaltung). Die Vermietung des Grundstücks könnte daher keine ausschlaggebende Dienstleistung darstellen. Dementsprechend könnte Art. 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL dahingehend auszulegen sein, dass die Überlassung der Vorrichtungen und Maschinen nicht passiv erfolgt, sondern durch die Aufrechterhaltung des betriebsbereiten Zustands geprägt ist, woraus sich die Steuerpflicht auch für den Fall der einheitlichen Leistung erklären könnte.
Keine Gewerbesteuer auf sog. Rendering-Leistungen von Architekten
Zum freiberuflichen Tätigkeitsspektrum eines Architekten gehört nicht nur die gestalterische, technische und wirtschaftliche Planung von Bauwerken. Aber auch das Visualisieren von Architekturprojekten zählt als eigenständige gestalterische Planungsleistung mittlerweile dazu.
Hintergrund
Eine aus 2 Architekten bestehende GbR betrieb ein sog. Rendering-Büro zur Visualisierung von Architekturprojekten. Die hieraus erzielten Einkünfte erklärten die Gesellschafter als solche aus freiberuflicher Tätigkeit. Dagegen stufte das Finanzamt im Rahmen einer Betriebsprüfung die Tätigkeit als gewerblich ein und erließ entsprechende Feststellungsbescheide. Hiergegen wehren sich die Gesellschafter mit ihrer Klage.
Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht entschied, dass Visualisierungsleistungen als eigenständige gestalterische Planungsleistungen anzusehen sind, wenn der Architekt regelmäßig im Entwurfsstadium mit in die Projektentwicklung eingebunden ist. Das beinhaltet insbesondere Detailplanungen hinsichtlich Fassadenmaterial, Fenster, Treppen, Farbgebung und Formfindung. Dabei muss es nicht nur um die Ausführung einer fremden Planung gehen und nicht nur von anderen erdachte Entwürfe übernommen und dargestellt werden. Auch eigene gestalterische Elemente im Architekturbereich können mit einfließen. Dies war hier der Fall. Beide Gesellschafter waren Architekten und wurden im Hinblick auf ihre Visualisierungstätigkeiten bereits frühzeitig in die Planungen der von den Bauherren beauftragten Architekten miteinbezogen und waren dadurch auch im gestalterischen Teil tätig. Damit lagen nach Ansicht des Finanzgerichts freiberufliche Tätigkeiten vor, keine gewerblichen.
Wenn das Finanzamt eine Zuständigkeitsvereinbarung aufhebt
Hebt das Finanzamt eine Zuständigkeitsvereinbarung auf, bedarf es dafür keiner Zustimmung des Steuerpflichtigen.
Hintergrund
A ist Arbeitgeber mit seiner Betriebsstätte im Bezirk des Finanzamts A. Bis 2001 war seine Ehefrau E bei diesem Finanzamt A beschäftigt. Deswegen hatten das Finanzamt A und das Finanzamt B auf Anregung der Eheleute im Jahr 1994 eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO abgeschlossen, nach der das Finanzamt B für die Personen- und Betriebssteuern der Eheleute und damit auch für die Lohnsteuer zuständig war.
Nachdem die E ihr Angestelltenverhältnis beim Finanzamt A beendet und der mit dem Besteuerungsverfahren betraute Amtsträger gewechselt hatte, teilte das Finanzamt B den Eheleuten im Jahr 2013 mit, dass der Grund für die Zuständigkeitsvereinbarung entfallen und § 27 AO nicht mehr anwendbar war. Demgemäß teilte das Finanzamt A dem A u. a. für Zwecke der Lohnsteuer-Anmeldung eine auf das Finanzamt A lautende Steuernummer zu.
Die Eheleute waren mit dem Zuständigkeitswechsel nicht einverstanden. In den Jahren 2014 und 2015 forderte das Finanzamt A den A mehrfach auf, die Lohnsteuer-Anmeldungen dem Finanzamt A in elektronischer Form zu übermitteln. Trotzdem gab A die Lohnsteuer-Anmeldungen weiterhin ausschließlich beim Finanzamt B ab, und zwar für die Zeiträume Februar bis Juni 2015 nicht elektronisch, sondern auf von A erstellten Formularen. Das Finanzamt B leitete die eingereichten Unterlagen an das Finanzamt A weiter. Dieses schätzte auf dieser Grundlage die Lohnsteuer für die Anmeldezeiträume Februar bis Juni 2015 und setzte Verspätungszuschläge fest.
Das Finanzgericht wies die dagegen gerichtete Klage ab und entschied, dass die Zuständigkeitsvereinbarung durch die Erklärungen der beiden Finanzämter mit Wirkung ab Juli 2014 entfallen war. Die in Papierform und nicht elektronisch eingereichten Lohnsteuer-Anmeldungen waren nicht gültig. Das Finanzamt B durfte daher die Verspätungszuschläge festsetzen.
Entscheidung
Die Revision des A hatte keinen Erfolg, denn der Bundesfinanzhof bestätigte das Finanzgerichtsurteil.
Anders als der Abschluss einer Zuständigkeitsvereinbarung ist für die Aufhebung die Zustimmung des Steuerpflichtigen nicht erforderlich. Das in § 27 AO für den Abschluss verankerte Zustimmungserfordernis wurde eingefügt, um den Steuerpflichtigen vor willkürlichen Vereinbarungen zu schützen und um dem Grundsatz des gesetzlichen Richters zu genügen. Denn die Zuständigkeit des Finanzgerichts knüpft an die Zuständigkeit der Finanzbehörde an. Durch die Aufhebung einer bestehenden Zuständigkeitsvereinbarung wird jedoch keine neue Zuständigkeit geschaffen. Es erfolgt lediglich die Rückkehr zur gesetzlich vorgesehenen örtlichen Zuständigkeit.
Mit der Beendigung der Beschäftigung der E beim Finanzamt A und dem Wechsel des mit dem Besteuerungsverfahren des A betrauten Amtsträgers sind die Gründe für den Abschluss der Zuständigkeitsvereinbarung entfallen. A konnte daher nicht darauf vertrauen, dass die Vereinbarung Bestand haben würde.
A hat die Lohnsteuer-Anmeldungen Februar bis Juni 2015 nicht in der gebotenen elektronischen Form beim Finanzamt A eingereicht. Er ist damit seiner Anmeldungs-Verpflichtung nicht nachgekommen, sodass das Finanzamt zur Festsetzung von Verspätungszuschlägen berechtigt war. Die Nichtabgabe der Lohnsteuer-Anmeldungen ist nicht entschuldbar. Denn das Finanzamt A hatte den A auf die Pflicht zur Abgabe nunmehr beim Finanzamt A hingewiesen. A war auch in der Lage, die Anmeldungen elektronisch einzureichen.